Seit Jahrzehnten organisieren wir uns in Unternehmen entlang von Wertschöpfungsketten, stellen das Leistungsprinzip in den Mittelpunkt und belohnen mehr Umsatz, mehr Gewinn und mehr abgeleistete Stunden mit Geld oder Aktien. Mehr, mehr, mehr! Schaut man jedoch etwas genauer hin, scheint dieses Prinzip der permanenten Maximierung und Effizienzsteigerung Unternehmen und deren Mitarbeiter in den letzten Jahren verstärkt an den Rand eines pathologischen Zustands zu bringen. Laut AOK stieg die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitsfälle aufgrund von Burnout-Erkrankungen von 0,6 Fällen je 1.000 Mitglieder im Jahr 2004 auf 5,7 Fälle im Jahr 2018.¹

Viele Unternehmen begreifen dabei New Work als Alternativ-Behandlung und verabreichen ihren Mitarbeitern Plazebos wie Tischkicker im Atrium, Homeoffice oder flache Hierarchien. Aber das löst das Problem nicht an der Wurzel. Wie in unserem vorherigen Artikel bereits ausgeführt, heißt New Work, dass das Unternehmen den Mitarbeiter darin bestärkt und unterstützt, zu finden, was er „wirklich wirklich will“. Das mag ein radikaler Schritt sein – aber der Grundgedanke stimmt. Ein Team kann langfristig nur „performen“, wenn jeder am richtigen Platz seinen Beitrag leisten kann. Nachhaltige Teamentwicklung zielt auf ein grundlegendes Umdenken jedes Einzelnen ab.

Schritt 1: „Hosen runter“

„Wer bin ich und wie viele?“ – so kommt man sich manchmal im Arbeitsalltag vor, wenn man unterschiedliche Rollen einnehmen und sich in zahlreichen Aufgabenbereichen am besten vierteilen müsste. Arbeit menschlicher und besser auf die Persönlichkeit des Mitarbeiters abzustimmen beginnt daher damit, sich dessen Persönlichkeit erst einmal bewusst zu werden. Eine Selbstreflexion auf Basis von Modellen wie 16personalities schafft einerseits ein Bewusstsein dafür, wie man selbst ist und mit Kollegen umgeht. Anderseits sorgt es im Team für Erkenntnis darüber, wie die einzelnen Personen „ticken“ und welche Diversität an Persönlichkeiten im Team herrscht – die im Idealfall das Team bereichert, manchmal aber auch Konflikte provoziert. Dabei ist Behutsamkeit gefragt. Es soll nicht darum gehen, an der Performance-Schraube zu drehen und effizienter zu werden, sondern gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die den Arbeitsalltag im Zusammenspiel für jeden einzelnen besser machen. Raus aus dem egozentrischen Karrierelift – rein in die Gemeinschaftssauna: das mag zunächst viele ins Schwitzen bringen. Aber dafür ist das Ergebnis umso erfrischender.

New Work 2 Content

Schritt 2: Mal so richtig „Dampf ablassen“

„Mach dein Ding“ – aber so, dass es dem Team hilft, seine Arbeit besser zu machen und das gemeinsame Ziel zu erreichen. Dazu muss man verstehen, wer was tut: Welche Aufgaben sind wem übertragen? Auch der Kontext ist wichtig: Wo sind Schnittstellen und Abhängigkeiten, wer arbeitet woran mit wie vielen Stunden, wo unterstützen Dienstleister?

Wir schauen aber auch darauf, wie gut oder schlecht der Arbeitsalltag ist: Wie laufen Meetings ab, wie ist das Arbeitsumfeld, stimmt das technische Equipment? Mit welchen Kommunikationsinstrumenten wird was kommuniziert? Wie wird geführt? Wir führen dazu strukturierte Online-Befragungen durch. Die Bewertung mit Schulnoten liefert uns ein erstes quantitatives Bild und die Grundlage, um im Verlauf des Prozesses die Veränderung messen zu können.

In anschließenden Telefoninterviews mit den Mitarbeitern verifizieren und verdichten wir die Rückmeldungen aus dem Online-Befragungen. Die quantitative Analyse wird durch eine qualitative ergänzt und es zeigt sich, wie die Lage individuell wahrgenommen wird. Das ist der spannendste Teil des Teamentwicklungsprozesses, bei dem die Mitarbeiter sich öffnen und auch mal richtig Dampf ablassen. So erfahren wir, wo es knirscht, was Mitarbeiter über die Teamabläufe denken und vor allem: was sie wirklich wirklich wollen.

Schritt 3: „Den Teufel an die Wand malen“

Mit den so gewonnenen Erkenntnissen stellen wir die Arbeitskultur auf den Prüfstand. In einem strukturierten Analyseprozess identifizieren wir Muster, die Mitarbeiter immer wieder behindern und machen die Schwachstellen sichtbar.

Die Ergebnisse sind in jedem Unternehmen sehr unterschiedlich: Fehlende Klarheit über die strategische Ausrichtung des gesamten Teams kann dazu führen, dass Teile des Teams jeweils andere Schwerpunkte setzen – also mit den falschen Dingen viel Zeit verschwenden. Oder die verbesserungswürdige Kommunikation der Führungskräfte verursacht unnötigen Mehraufwand, etwa wenn Arbeitsaufträge ohne Kontext erteilt werden, so dass im Bearbeitungsprozess immer wieder nachjustiert werden muss. In manchen Fällen zeigt sich auch, dass viele Aufträge, die von anderen Abteilungen eingehen, gar nicht den Zielsetzungen der adressierten Abteilung entsprechen. Manchmal steckt der Teufel aber auch im Detail: Eine tägliche Flut von Emails, sicherheitshalber mal CC an alle oder schlecht vorbereitete Meetings, die am Ende nur Zeit fressen.

Die so identifizierten Wirkungsmechanismen fassen wir in einer Präsentation zusammen, entwickeln Verbesserungsvorschläge und stellen sie dem Team in einem Workshop vor. Im Vorfeld ist es sinnvoll, die Analyseergebnisse insbesondere zum Führungsstil zunächst mit den Führungskräften zu besprechen. Sie können dann entscheiden, wie sie mit den Ergebnissen umgehen und diese gegebenenfalls selbst im Workshop vorstellen.

Schritt 4: Das Leben „ist“ ein Wunschkonzert

Dieser Workshop leitet den heilsamen Veränderungsprozess ein. Zunächst wiederholen und vertiefen wir noch einmal das strategische Framework der Abteilung: Was ist der „Purpose“ des Teams, welcher Vision und Mission folgt es, und mit welchen strategischen Maßnahmen sollen welche Ziele erreicht werden? Bereits hier entstehen erfahrungsgemäß erste Diskussionen, denn durch die neu gewonnene Transparenz können Mitarbeiter endlich mitreden.

Auf der „Wir-Ebene“ besprechen wir, wie die Teams in Zukunft zusammenarbeiten werden. Auch an dieser Stelle fordern wir die aktive Einbeziehung der Mitarbeiter, so dass sie eigenständig untereinander Vereinbarungen treffen können. So werden neue Meetingstrukturen festgelegt, Regeln für die Kommunikation entwickelt, Instrumente für die Kommunikation bestimmt und Prozesse neu justiert.

Für die „Ich-Ebene“ jedes einzelnen Mitarbeiters entwickeln wir ein neues Rollen- und Verantwortlichkeitsmodell. Dieses orientiert sich an den im ersten Schritt identifizierten Persönlichkeitsmerkmalen des Mitarbeiters, an den Rückmeldungen aus den Interviews und den Anforderungen der neuen Zusammenarbeit. Und genau an dieser Stelle findet New Work statt: Offen und transparent befindet das Team darüber, wer was macht, das er oder sie wirklich wirklich machen will, sodass er als Einzelner Verantwortung für das Gesamtergebnis des Teams übernehmen kann. Veränderung beginnt bei jedem Einzelnen. Daher ist die „Ich-Ebene“ besonders entscheidend. Am Ende des Workshops muss sich jeder Mitarbeiter die Frage stellen, welchen Beitrag er oder sie im Hinblick auf die veränderten Spielregeln leisten will. Diese Vereinbarung mit sich selbst bespricht der Mitarbeiter im Idealfall auch mit der Führungskraft, um Ziele für die Zukunft festzulegen.

Ein Playbook dokumentiert all diese Aspekte – einerseits als Orientierungshilfe zu den getroffenen Vereinbarungen, andererseits, um neuen Mitarbeitern den Einstieg in das Team zu erleichtern.

New Work 2 Infografik

In der Phase nach den grundlegenden Veränderungen wird der Entwicklungsfortschritt in einem Change Monitor regelmäßig gemessen. Die Online-Befragung wird in regelmäßigen Abständen wiederholt. Anhand der Noten lässt sich einfach bestimmen, ob sich eine Verbesserung einstellt oder an welchen Stellen nachjustiert werden muss.

Wieder „Bock“ auf Arbeit

Am Ende des Prozesses steht ein neues Rollen- und Verantwortlichkeitsverständnis, das auch gelebt wird. Die evaluierten persönlichen Präferenzen können mit den strategischen Anforderungen und den laufenden Aufgaben zusammengeführt und – ganz wichtig: im Dialog mit den Mitarbeitern – neu zugeordnet werden. Mit dem neu gewonnen Selbstverständnis über den eigenen Beitrag zum gemeinsamen Ganzen lassen sich dann die notwendigen operativen Veränderungen auch viel leichter implementieren.

Während des gesamten Prozesses entsteht eine Menge Energie. Mitarbeiter bringen sich ein und argumentieren intensiv für ihre Positionen. Es gilt, diese Energie zu kanalisieren: Mauern einzureißen, quer zu denken und alternative Lösungswege zu schaffen. Dann haben Mitarbeiter auch wieder „Bock“ und gehen mit großer Freude zur Arbeit, weil sie wissen, dass sie etwas bewirken können.

Und das wollen wir doch eigentlich alle!


Lesen Sie auch unseren ersten Artikel zum Thema New Work.

Bei Interesse oder Fragen zum Thema nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf: telefonisch unter +49 (0)611 . 238 50 10 oder per E-Mail an kontakt(at)diefirma.de.


Quellen:
¹ Statista, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/239872/umfrage/arbeitsunfaehigkeitsfaelle-aufgrund-von-burn-out-erkrankungen/, abgerufen am 03.02.2020