Die Weichen sind gestellt

Nicht zuletzt durch den Druck ziviler Organisationen wie „Fridays for Future“ kommt auch die Politik allmählich in die Gänge. Mit dem Sustainable Finance Action Plan³ definiert die EU nun Standards (EU-Taxonomie), die Nachhaltigkeits-Aktivitäten von Finanzinstituten messbar machen. Damit soll der Wandel finanziert und Kapitalströme in Richtung Nachhaltigkeit gelenkt werden. Unternehmen, die entsprechende Kriterien nicht nachweisen können, bekommen kein Geld mehr am europäischen Kapitalmarkt. Die Bundesregierung möchte mit einer Weiterentwicklung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) 2021 „Die Weichen richtigstellen, für die Dekade des Handelns“.⁴ Auch der jüngste Entscheid des Bundesverfassungsgerichts ist ein eindeutiges Signal: Es muss sich was ändern – sofort.

Ein neues Bewusstsein

In der Gesellschaft ist Umwelt- und Klimaschutz längst gesellschaftlicher Konsens. Während der letzten Jahre hat sich ein wachsendes Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein entwickelt, das seinen Ausdruck zum Beispiel in Unverpackt-Läden, Ökolabels oder der Sharing-Ökonomie findet. Der Mega-Trend Neo-Ökologie wird laut dem Zukunftsinstitut die 2020er Jahre prägen wie kein anderer.

„Umweltbewusstsein wird vom individuellen Lifestyle zur gesellschaftlichen Bewegung. Nachhaltigkeit vom Konsumtrend zum Wirtschaftsfaktor. Und die Klimakrise zur Grundlage einer neuen, globalen Identität“, so Zukunftsforscherin Lena Papasabbas.⁵

In der neuen Sinnökonomie⁶ erwarten nicht nur Verbraucher von Unternehmen eine klare Haltung zum Thema Nachhaltigkeit, sondern auch Investoren. Grund für BlackRock, in einem an Investoren adressierten Brief Nachhaltigkeit zum Investmentstandard zu erklären.⁷

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Grün reden, schmutzig handeln

Unternehmen wissen, dass sich mit Umweltschutz mehr Produkte verkaufen lassen und locken schon lange mit grünen Versprechungen. Krombacher etwa versprach zu Beginn des Jahrtausends, pro verkauftem Kasten Bier einen Quadratmeter Regenwald zu retten. Profitiert hat davon vor allem das Unternehmen: Im ersten Jahr der Kampagne stieg der Umsatz um 8 % auf 460 Millionen. Nur ca. 0,3 % des Verkaufspreises flossen in ein WWF Regenwaldprojekt, geschützt wurde insgesamt ein Areal, das ca. 0,01 % des afrikanischen Regenwaldes entspricht.⁸

Der Großkonzern Unilever möchte mit seiner Produktrange „Sustainable Living Brands“ die Welt ein bisschen besser machen. „Every U does good“ verspricht das Unternehmen in seiner Dachmarkenkampagne für nachhaltige Marken⁹, zu denen unter anderem Dove, Omo, Rexona, Knorr oder Lipton Tee gehören. Brands, die 2018 zum vierten Mal in Folge ein um 46 % schnelleres Wachstum als andere Marken verzeichneten und 70 % des gesamten Umsatzwachstums verantworteten. Die „Sustainability“ der genannten Marken interpretiert Unilever dann wie folgt:

„Unilever’s Sustainable Living Brands are those that communicate a strong environmental or social purpose, with products that contribute to achieving the company’s ambition of halving its environmental footprint and increasing its positive social impact. While all of Unilever's brands are on a journey towards sustainability, our Sustainable Living Brands are those that are furthest ahead.”¹⁰

Die Marken erhalten also kommunikativ schon mal das Etikett „Nachhaltigkeit“, während sie sich inhaltlich gerade mal auf dem Weg dahin befinden. Derweil produziert Unilever noch weiter fleißig Plastikverpackungen und bezieht zur Herstellung vieler Produkte noch Palmöl von Plantagen in Indonesien, gegen die wegen illegaler Brandrodung ermittelt wird.¹¹

Dass grüne Lügen verdammt kurze Beine haben, zeigt eine Kampagne, mit der Vattenfall in Hamburg für seine Elektroauto-Tanksäulen warb. Der Energieversorger schmückte sich mit dem Claim „Hamburg tankt grünen Strom“, während in Wirklichkeit über neunzig Prozent des von Vattenfall in Deutschland produzierten Stroms aus der Verbrennung von Kohle stammen. Sicherlich auch jener, der durch die Ladesäulen fließt. Das brachte dem Unternehmen nicht nur herbe Kritik, sondern kostete auch Reputation. Die Plakate mit den grünen Versprechen wurden von Greenpeace überklebt.¹²

Es geht ums Überleben – auch für Unternehmen

Derlei Manöver funktionierten eine Weile gut: Eine Leuchtturmbrand hier, ein soziales Spendenprojekt da und dazu ein schöner Nachhaltigkeitsbericht. Damit war der Corporate Responsibility Genüge getan. Aber Menschen, Organisationen und zunehmend auch Regulatorik schauen hinter die grüne Fassade und fordern Maßnahmen mit echter Wirkung. Was ist die Nachhaltigkeitsstrategie? Wie wollen wir uns als Unternehmen in diesem Kontext positionieren? Wie setzen wir das dauerhaft um und verankern es in Prozessen quer durch alle Abteilungen? Auf diese Fragen brauchen Unternehmen Antworten.

Hier hat sich der Begriff Environment, Social, Governance (ESG) aus der Finanzwelt etabliert. Er beschreibt ökologische und gesellschaftliche Bereiche in der Unternehmensführung, auf deren Basis Kriterien zur Evaluierung der unternehmerischen Verantwortung entwickelt werden. Diese bisher auf freiwilliger Basis eingeforderten Kriterien sind auch zunehmend relevant für das Risikomanagement.¹³

„Unternehmen können im Rahmen ihres Kerngeschäfts einen Beitrag leisten. Wir rufen daher Unternehmen auf der ganzen Welt auf, die Auswirkungen ihres Handelns zu erheben, sich ehrgeizige Ziele zu setzen und ihre Fortschritte transparent zu kommunizieren“, fordert Ban Ki-Moon, ehemaliger Generalsekretär der UN.

Auch hier reagieren Unternehmen und schmücken sich auf der Website mit den Sustainable Development Goals der UN. Eine Studie von Price Waterhouse Coopers zeigt jedoch:¹⁴

Nicht genug Schubkraft, um die ernsten wirtschaftlichen Herausforderungen angesichts der drohenden Klimakatastrophe zu bewältigen. Und die ökologische Katastrophe wird auch eine ökonomische sein, wenn sie die Wirtschaft unvorbereitet trifft. „Nachhaltig“ bedeutet laut Duden: „Sich auf längere Zeit stark auswirkend“. Und das wird nur erreicht, indem ganze Geschäftsprozesse gezielt nachhaltig gestaltet werden.

Nachhaltig ist klug

Seit Jahren geht der Outdoor-Fashion-Anbieter Patagonia mit gutem Beispiel voran. Wie kein anderer Player der Bekleidungsbranche steht das Unternehmen für nachhaltiges Wirtschaften. „Wir sind im Geschäft, um unseren Heimatplaneten zu retten“¹⁵, lautet die unternehmerische Mission, die auf allen Ebenen gelebt wird. Patagonia ist im Kern Umwelt-Aktivist, der auch Outdoor-Mode verkauft.

Seit einem Vierteljahrhundert verwendet das Label ausschließlich Bio-Baumwolle und war Vorreiter bei der Fertigung von Fleece-Pullis aus Plastikflaschen. In emotionalen Worn Wear® Stories¹⁶ vermittelt Patagonia den Wert von recycelter Kleidung, statt für Neukauf zu werben. Die neue Markenkampagne „Action works“¹⁷ fordert Menschen auf, die Welt zu retten und nicht, Pullis zu kaufen. Dazu bietet sie Möglichkeiten, sich mit Organisationen zu vernetzen.

Eine klare Haltung erlaubt es Unternehmen, fokussiert zu handeln und Entscheidungen zu treffen, die einen langen Fortbestand sichern. Das zeigen 40 Jahre erfolgreiche Unternehmensführung bei Patagonia.

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Lichtblick in Sachen Energie

Gelungenes Beispiel für gesundes Wachstum ist auch der Hamburger Energieversorger LichtBlick. Statt wie Vattenfall große grüne Worte zu schwingen, haben die Gründer gehandelt und vor rund 20 Jahren ein kleines Unternehmen für grünen Strom ins Leben gerufen. Heute ist Lichtblick mit 1,7 Millionen Kunden Deutschlands größter Ökostromanbieter und versorgt auch Unternehmen wie Scandic und Globetrotter. Der Hamburger Energieversorger hat einen klaren Purpose: „Klimaneutral zum neuen Normal“ zu machen, und zwar bis 2035. Dieses Ziel erreicht man nicht als Einzelkämpfer, und Lichtblick ruft wie Patagonia zum gemeinsamen Handeln auf. Die kollaborative Haltung führte das Unternehmen zu einer bahnbrechenden Geschäftsidee. Um den dezentralen, von vielen Anbietern besetzten digitalen Energiemarkt zu vernetzen, rief das Unternehmen die IT-Plattform „Schwarm-Dirigent“¹⁸ ins Leben. Bereits jetzt sind über die Plattform 1.000 Anlagen für Blockheizkraftwerke, Batterien, Elektroautos und Solaranlagen verknüpft, Tendenz steigend. Damit hat Lichtblick das Potenzial, den gesamten Ökostrommarkt entscheidend zu prägen.

Mit Unternehmen, die das eine sagen und das andere tun, ist es wie mit Menschen: Wir vertrauen ihnen nicht. Daher ist auch das Zeitalter des grünen Redens und schmutzigen Handelns vorbei. Genau an dieser Stelle leistet Markenführung als strategisches Instrument einen entscheidenden Beitrag: Bei der Erarbeitung eines Purpose – der Vision und Mission – stellt sie die richtigen Fragen, identifiziert Kernwerte und damit die Bedeutung des Unternehmens für einen positiven Wandel der Gesellschaft.

Eine authentische Marke wirkt zunächst nach innen und beeinflusst das Angebots- und Produktportfolio, welches sich am Markenversprechen messen lassen muss. Auch die Mitarbeiter werden sich dann in den Dienst der großen Sache stellen und entwickeln mehr Motivation für die Erreichung der gesetzten Markenziele. Als verstärkendes Element wird Kommunikation auf allen Ebenen wirksam und sorgt für mehr internen wie externen Austausch, begünstigt Kollaboration und führt schließlich zu nachhaltigen Ergebnissen.

Nachhaltigkeit muss in die Substanz von Unternehmen eindringen und diese transformieren. Das ist nicht nur existentiell für die Glaubwürdigkeit, sondern sichert mit gesundem Wachstum den wirtschaftlichen Fortbestand. „Je eher Unternehmen die Potenziale dieser Transformation für sich ausloten, umso mehr werden sie künftig davon profitieren. Der Wohlstand von morgen beruht auf neuen Werten – und einem neuen Begriff von Wachstum.“¹⁹

Und wer die entsprechende Substanz aufzuweisen hat, findet auch die richtigen Worte, diese überzeugend zu kommunizieren.

Mehr zum Thema Brand Purpose in unserem Artikel „Das macht Sinn!“.

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Quellen
¹ https://www.un.org/sustainabledevelopment/decade-of-action/
² https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/kommentar-fazit-zur-weltklimakonferenz-minimalkompromiss-in-madrid-wird-klimakrise-nicht-gerecht/
³ https://www.unpri.org/news-and-press/european-commission-releases-action-plan-for-financing-sustainable-growth-/2855.article
https://www.bmfsfj.de/resource/blob/174260/51385895309085c0ce567488920aca36/20210310-weiternetwicklung-dns-kurzfassung-data.pdf
https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/der-wichtigste-megatrend-unserer-zeit/
https://www.capital.de/wirtschaft-politik/auf-dem-weg-in-die-sinnoekonomie
https://www.blackrock.com/de/privatanleger/blackrock-client-letter
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/gruene-versprechen-wie-verbraucher-getaeuscht-werden-102.html
https://www.unilever.de/presseservice/news-and-features/2018/02112018.html
¹⁰ https://www.unilever.com/news/press-releases/2019/unilevers-purpose-led-brands-outperform.html
¹¹ https://www.unilever.de/presseservice/pressemitteilungen/2019/07102019.html
¹² https://www.greenpeace.de/themen/umwelt-gesellschaft/wirtschaft/vattenfall-will-sich-grunwaschen
¹³ http://www.nachhaltig-investieren.org/esg-environmental-and-social-governance.php
¹⁴ https://www.pwc.de/de/nachhaltigkeit/strategien-fur-eine-bessere-welt.html
¹⁵ https://eu.patagonia.com/de/de/activism/
¹⁶ https://www.youtube.com/watch?v=4IyTXRfnYmQ
¹⁷ https://eu.patagonia.com/de/de/actionworks/ueber/
¹⁸ https://www.smarter-service.com/2021/04/27/was-resiliente-unternehmen-stark-macht/
¹⁹ https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/der-wichtigste-megatrend-unserer-zeit/

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