Neue digitale Arbeitsprozesse setzen einen tiefgreifenden Kulturwandel voraus, getragen von den Menschen, die diese Kultur leben. „Digital transformation is about talent, not technology“, betont das Harvard Business Review.² Das Bewusstsein hierfür ist aber in vielen deutschen Unternehmen noch nicht vorhanden, wie eine kürzlich durchgeführte Managementstudie zeigt. Nur ca. fünf Prozent der befragten Führungskräfte sind sich ihrer Verantwortung für die aktive Einbindung von Mitarbeitern bei Veränderungen voll und ganz bewusst.³

Wer sich auf das Abenteuer Kulturwandel einlässt, muss wissen: Kultur spielt sich immer im Spannungsfeld von Kollektiv und Individuum ab und umfasst Dimensionen wie Sprache, Verhalten, Kommunikation oder Symbolik. Wer dies berücksichtigt und diese Ebenen in die unterschiedlichen Prozess-Stufen einbindet, kann auf dem Weg zum Kulturwandel viele Stolpersteine und Hürden umgehen. Und noch eine gute Nachricht: Mit vorab definierten Faktoren ist der Wandel messbar und Unternehmen erhalten einen Kompass, der sie in die richtige Richtung führt.

Verständigungsbasis schaffen

Sprache ist eines der wesentlichen Elemente einer Kultur. Verständigung funktioniert nur, wenn man dieselbe Sprache spricht und auch dasselbe meint. Das mag banal klingen, aber in der Praxis erleben wir immer wieder, dass von Abteilung zu Abteilung, ja auch innerhalb von Abteilungen ganz eigene „Sprachrealitäten“ herrschen. Insbesondere Buzzwords wie Agilität, New Work oder Digitale Transformation werden häufig unterschiedlich ausgelegt. „Digitale Transformation“ wird zum Beispiel oft mit der Implementierung von Technologien wie Blockchain, KI oder digitalen Tools gleichgesetzt. Dabei geht es in erster Linie darum, mit neuen Strukturen und Prozessen eine Kultur zu etablieren, die den Erfordernissen einer komplexen, digitalisierten Geschäftswelt entspricht.

Zu Beginn jedes Change-Prozesses sollte daher im Team eine gemeinsame sprachliche Grundlage geschaffen werden: für das, was Sie vorhaben, für das Wertegerüst und für die Ziele, die Sie mit dem Wandlungsprozess verfolgen. So wird sprichwörtliches „Aneinander-Vorbeireden“ unterbunden und es entsteht das erforderliche Commitment und Gemeinschaftsgefühl, das nötig ist, um den Transformationsprozess zu tragen. Allein, um den Change-Prozess mit Hilfe eines Changemonitors messbar zu machen, ist eine gemeinsame Sprachgrundlage unumgänglich.

Cultural Change Infografik Verständigung

Vernetzungskultur entwickeln

Kultur spiegelt sich immer auch in der Interaktion und Kommunikation der Menschen. Und Unternehmen haben verstanden, dass in puncto neue Arbeitsmethoden Vernetzung und Kollaboration elementare Bestandteile sind. Aber kollaborative Tools allein bewirken noch keine Vernetzung. Oft finden wir Situationen vor, in denen Mitarbeiter zwar neue digitale Kommunikationstools nutzen, aber durch vorhandene, hierarchische Prozessgefüge und Kontrollschleifen heillos überfordert sind. Neben Umlaufmappen und E-Mail-Kaskaden wird jetzt auch noch geslacked, geteamst und gezoomt, allerdings ohne die entsprechende Vernetzung. Interaktive Boards wie Trello oder die genannten digitalen Tools können erst dann effizient genutzt werden, wenn Transparenz über Rollen, Schnittstellen und Workflows herrscht und Abläufe vernetzt ineinandergreifen. Problematisch ist, dass in vielen Unternehmen der Grad der digitalen Vernetzung und Transparenz oft nicht mit dem betrieblich geregelten Datenschutz vereinbar ist. Moderne Arbeitsmethoden in aller Konsequenz werden hier oft schon im Vorfeld blockiert.

Cultural Change Composing Vernetzung Das Online-Tool Miro ist ein “unendliches” Whiteboard. Teams können damit sowohl in Echtzeit als auch asynchron zusammenarbeiten. Virtuelle Whiteboards wie Miro ermöglichen agile Arbeitsabläufe und unterstützen die Visualisierung.

„Kultur“ kommt von „kultivieren“

Ein Kulturwandel kommt nicht über Nacht. Kultur richtet sich an Werten und Einstellungen aus, die über viele Jahre gewachsen sind, das Verhalten und Denken der Menschen bestimmen und damit auch beeinflussen, wie das Unternehmen funktioniert. Einen Kulturwandel von oben zu verordnen, hieße, Samenkörner auf Asphalt zu streuen und zu erwarten, dass eine blühende Wiese entsteht. Wie ein guter Gärtner auch muss das Unternehmen den Boden bereiten und Bedingungen für optimales Wachstum schaffen. Das wird erreicht, wenn Mitarbeiter in Change-Prozesse eingebunden sind, deren Sinn und Vorgehensweise sie verstehen und die sie mitgestalten können. So wird der Samen für die neue Kultur gelegt – wachsen muss sie aber von allein. Neue Arbeitskultur bedeutet immer auch ein Stück Vertrauenskultur, das heißt, die Führungsseite muss Kontrolle abgeben. So wie der Gärtner zwar ideale Bedingungen schaffen kann, aber niemals die Natur ganz beherrscht, so kann Führung Impulse geben und Abläufe vorgeben, aber muss auch Freiraum für das Entstehen von etwas Neuem einräumen. Andernfalls wird Wandel im Keim erstickt oder es entsteht ein totkultivierter Schottergarten.

Cultural Change Infografik Kultivieren

Das Individuum neu denken

In Industrieunternehmen finden wir oft eine regelrechte Stammeskultur vor. Mit Herrschern und Fürstentümern, festen Riten und Verhaltensweisen, die durchaus identitätsstiftend sein können: „Das haben wir immer schon so gemacht.“ Aber wie entwickelt sich ein Mensch, der in ein sicheres Gefüge mit festen Aufgaben eingebettet ist, zum eigenverantwortlichen Problemlöser? Zur Schaffung einer neuen Realität gehört auch ein realistisches Menschenbild: Was kann ich einem Mitarbeiter abverlangen? Hier ist zunächst wichtig zu vermitteln: Es gibt nichts Negatives im Alten und nichts Beängstigendes im Neuen. Auf Bekanntem aufbauen, statt mit Disruption Angst zu schüren. Daher erfragen wir in der Aufgaben- und Ablaufanalyse immer auch, was den Menschen bei der Projektarbeit wichtig ist. Über die reine Funktion hinaus gilt es, den Menschen mit seiner Persönlichkeit und seinen Vorlieben wahrzunehmen, etwa mit Persönlichkeitstests wie 16personalities oder DISG-Profilen (hierzu mehr in unserem Artikel "Handeln, bevor es weh tut.").

Cultural Change Infografik Individuum Quelle: https://www.16personalities.com/de

Es ist erstaunlich zu beobachten, wie Menschen aufblühen, wenn sie sich gesehen fühlen und auch selbst ein Stück weit neu entdecken. Selbstwirksamkeit gepaart mit Sinnhaftigkeit macht Lust auf Arbeit. Das nutzt auch den Unternehmen, weil motivierte Mitarbeiter mehr leisten und loyaler sind, was wiederum zu sozialer Resilienz führt. Im Rahmen einer neuen Kultur kommen bei Unternehmen auch bestimmte Talente oder Typen ganz neu zur Geltung. Rebellen oder Andersdenker, die im alten System eher Sand im Getriebe waren, können dazu beitragen, die neue Kultur im Unternehmen zu fördern.

Rolle erfüllen statt Stelle besetzen

In der Arbeitskultur des Industriezeitalters war der Mensch ein Rädchen im Gefüge, dessen Leistung sich an den Zahlen der produzierten oder verkauften Produkte messen ließ. Die Dienstleistungsgesellschaft rückt die Menschen in den Mittelpunkt, genauer gesagt die Kunden. Damit Unternehmen so flexibel auf deren Bedürfnisse reagieren können, wie sie es erwartet, müssen Mitarbeiter komplexe Aufgaben eigenverantwortlich erledigen und Problemlösungskompetenz entwickeln, das heißt, nicht mehr einfach eine Stelle besetzen, sondern eine Rolle möglichst gut ausfüllen.

Stellenbeschreibungen beziehen sich auf rein funktionale Prozesse, Rollen hingegen auf Verantwortlichkeiten und Ergebnisse. Leider werden Rollen im neuen digitalen Arbeitsgefüge häufig willkürlich verteilt und entsprechen nicht den notwendigen Kompetenzen der Mitarbeiter. Der Jüngste im Team hat ein Instagram-Profil, also macht er Social Media. Eine Mitarbeiterin kann gut Texte schreiben, also übernimmt sie das Content Management. Das Bewusstsein über die neue Rolle und die Einbindung in den übergreifenden Workflow wird nicht vermittelt, was wiederum zu endlosen Abstimmungs- und Kontrollschleifen führt.

Cultural Change Infografik Rolle

Hier ist es zunächst elementar wichtig, Positionen genau zu durchleuchten und umfassende Rollenprofile zu erstellen. Das Aufgabenfeld des Social Media Managers umfasst nicht einfach das Posten schöner Bilder, es fallen auch redaktionelle Aufgaben an, die in enger Abstimmung z. B. mit Content-Management und Medienredaktion erledigt werden. Nicht zuletzt zählt auch der gelungene Dialog mit Kunden. Der Social Media Manager muss hierfür eben nicht nur technische, sondern vor allem empathische Fähigkeiten mitbringen, um die Rolle voll und ganz auszufüllen.

Nicht nur die Rolle, sondern die Einbettung in einen funktionierenden Workflow mit klar definierten Schnittstellen ist entscheidend. Wir sagen bewusst „Workflows“, weil der Begriff „Prozesse“ für die angestrebte kollaborative Arbeitsweise zu eng gefasst ist. Rollen sind klar definiert, aber Übergänge können fließend sein und von Aufgabe zu Aufgabe eigenverantwortlich ausgestaltet werden.

Gradmesser kulturellen Wandels: der Changemonitor

Messen lässt sich der „Kultur-Fortschritt“ mit dem Changemonitor. Hierfür werden von Führungskräften und Projektteams gemeinsam Faktoren definiert, die für die Veränderungs- und Kooperationsprozesse ausschlaggebend sind und den Wandel für alle Beteiligten spürbar machen. Wichtig: Hier geht es nicht um die Messung von Zahlen oder Leistung, sondern um für den Wandel relevante Messpunkte.

Die gemeinsame Festlegung dieser Kriterien ist immens wichtig. Denn hier werden nicht nur Handlungsräume und Verantwortlichkeiten der Beteiligten deutlich, durch die Einigung auf gemeinsame Faktoren entsteht ein übergreifendes Bild für die Art und die Qualität des laufenden Veränderungsprozesses. Mitarbeiter sind an der Definition des Wandels beteiligt und können sich mit diesem identifizieren.

Cultural Change Infografik Gradmesser

Der Entwicklungsstand wird regelmäßig in gemeinsamen Sessions erfasst und diskutiert. Vergleiche mit Ausgangspunkt und dem Zielbild machen die Veränderung ersichtlich und es wird deutlich, auf welchen Feldern Handlungsbedarf besteht und welche weiteren Maßnahmen notwendig sind. Das macht den Wandel kontrollierbar und auch in Zeiten des höchsten „Kontrollverlust“ berechenbar.

Das Playbook – kultureller Playground

Ein gemeinsames Verständnis über die neue Kultur und deren Prinzipien wird im Playbook dokumentiert. Playbook deshalb, weil es nicht ein starres Manifest ist, das die „Errungenschaften der neuen Kultur“ erfasst, sondern vielmehr das Spielfeld definiert, auf dem sich die neue Kultur bewegt. Natürlich sind hier Rollenprofile, Schnittstellen, Workflows, Verhaltens- und weitere Kommunikationsprinzipien erfasst: Wie werden Meetings effizient und zielorientiert durchgeführt? Wo liegen Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten und was sind die entsprechenden Kommunikationswege? Wo sind Kontrollmechanismen eingebaut? Wie sieht – über das Alltagsgeschäft hinaus – die interne Wissens- und Informationskultur aus? In welchen digitalen und realen Räumen findet Kollaboration statt?

Das Playbook ist gelebte Inspiration zur neuen Kultur – sowohl für bestehende als auch für neue Mitarbeiter. Oft erleben wir, dass das Playbook stolz von den Mitarbeitern einer Abteilung im Unternehmen herumgereicht wird und so der Funke auch auf andere Unternehmensbereiche überspringt. Denn auch so funktioniert Wandel: ausgehend von einer Keimzelle, deren Energie dann auf das ganze Unternehmen überspringt und schließlich zu einer neuen Kultur floriert.

Cultural Change Infografik Playbook

Also, was lernen wir? Unternehmen müssen Mitarbeiter in den Change-Prozess einbinden, Wandel muss im wahrsten Sinne des Wortes an die Substanz oder an die Wurzel gehen. Und das ist gut so. Denn so entsteht eine neue, belastbare Kultur, die sich immer wieder neu befruchtet, statt beim ersten Gegenwind einzuknicken.

Möchten Sie sich mit uns zum Thema austauschen oder haben eine Herausforderung? Wir freuen uns auf Ihren Kontakt: telefonisch unter +49 611 . 238 50 10 oder per E-Mail an kontakt(at)diefirma.de.


Quellen
¹ Studie: The Digital Culture Challenge: Closing the Employee-Leadership Gap (PDF)
² Artikel: Digital Transformation Is About Talent, Not Technology
³ Studie 2020: Change Management: Der Mensch im Mittelpunkt der digitalen Transformation

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